Psychologie bei Multipler Sklerose
Das Angebotsspektrum, das die Abteilung Psychologie unseren MS-PatientInnen stellt, trägt der Tatsache Rechnung, dass im Rahmen dieser Erkrankung vielfach auch neuropsychologische und/oder klinisch-psychologische Behandlungsansätze erforderlich sind und von den PatientInnen für eine möglichst zufriedenstellende Bewältigung ihrer persönlichen Situation auch als sehr hilfreich erlebt werden.
Im Bereich Neuropsychologie wird der Fokus auf kognitive Funktionsbereiche gelenkt, bei denen MS-PatientInnen häufig – und manchmal bereits recht früh im Erkrankungsverlauf - Veränderungen wahrnehmen. Vor allem bei komplexen Anforderungen, wie der Fähigkeit zur simultanen Verarbeitung von Informationen („Geteilte Aufmerksamkeit“), wie es etwa beim Autofahren erforderlich ist, bemerken MS-PatientInnen oft erste Anzeichen einer sich verändernden Leistungsfähigkeit. Im Gedächtnisbereich sind für das Lernen neuer Informationen oft größere Anstrengung und mehr Wiederholungen vonnöten, um eine Konsolidierung sicherzustellen. Und manchmal ist auch der Zugriff auf Wissensinhalte, Erfahrungen und Erinnerungen an Erlebtes deutlich erschwert.
Viele PatienInnen erleben es als entlastend, über den Zusammenhang zwischen MS und möglichen kognitiven Veränderungen aufgeklärt zu werden, weil sie damit eine Erklärung für die selbst wahrgenommenen oder von anderen bemerkten Schwierigkeiten im Berufsleben oder im Alltag erhalten. Allzu oft sehen sich PatientInnen ja mit dem Vorwurf konfrontiert, sich einfach nicht genügend anzustrengen, und nur deshalb nicht mehr die gewohnte Leistungsfähigkeit zu erbringen.
Genauso wichtig ist es aber auch, individuelle Schwächen als solche zu akzeptieren und persönliche Stärken zu nutzen bzw. Veränderungen, die mit dem normalen Prozess des Älterwerdens einhergehen, nicht zu pathologisieren – all diesen Faktoren wird in einer ausführlichen neuropsychologischen Untersuchung natürlich auch Rechnung getragen.
Weiters erhalten unsere PatientInnen Informationen darüber, bei welchen Leistungseinschränkungen sich ein Funktionstraining anbietet und welche Methoden sich in evidenzbasierten Studien als effektiv erwiesen haben (z.B. computerunterstütztes Training bei Störungen unterschiedlicher Aufmerksamkeitskomponenten). Für kognitive Bereiche, bei denen die Möglichkeiten eines funktionellen Trainings begrenzt sind (z.B. im Gedächtnisbereich), werden kompensatorische Strategien vorgestellt (wie der Einsatz von internalen Gedächtnisstrategien oder „Eselsbrücken“, und die Nutzung externer Gedächtnishilfen wie Kalender oder Tagebücher). Die PatientInnen werden dazu ermutigt, neue Strategien und Wege auszuprobieren, und müssen sich mitunter auch von unrealistisch gewordenen Zielen verabschieden – was natürlich oft mit Gefühlen von Verlust und Trauer einhergeht und mitunter psychologischer Unterstützung bzw. Begleitung bedarf.
Aus diesem Grunde wird gegebenenfalls auch der klinisch-psychologischen Beratung und Behandlung, z.B. zur Unterstützung der Krankheitsverarbeitung, entsprechend Raum gegeben.
Krankheitsverarbeitung ist ein prozesshaftes Geschehen, das aber nicht einem festgelegten Ablauf folgt, sondern in dem die unterschiedlichen Phasen individuell sehr verschieden lange dauern können, unterschiedlich intensiv erlebt werden und häufig auch mehrmals durchlaufen werden (müssen). Aufgrund der typischen Verlaufsformen der Erkrankung (schubhaft bzw. chronisch progredient) werden von MS-PatientInnen – aber auch von ihrem sozialen Umfeld – ganz besondere Anpassungsleistungen gefordert. Anpassungen und Veränderungen kosten Kraft und Energie, und wenn dann noch andere (psychosoziale) Belastungen dazukommen, kann schon einmal alles zu viel werden, was sich u.a. in einer depressiven Symptomatik äußern kann. Darüber hinaus können sich auch manche Medikamente zur Behandlung der MS ungünstig auf die Stimmung der PatientInnen auswirken
Andere psychische Störungen, die bei MS-PatientInnen auftreten können, sind Angsterkrankungen oder eine verminderte Affektkontrolle („emotionale Labilität“). Beim zuletzt genannten Phänomen berichten PatientInnen davon, dass Gefühlsäußerungen wie Lachen oder Weinen selbst bei geringsten Anlässen z.T. unpassend (stark) auftreten und nicht (ausreichend) kontrolliert werden können. Ist den Betroffenen nicht bekannt, dass es sich dabei um ein mögliches Symptom der Erkrankung handelt, können diese unvermittelten und unkontrollierbaren Gefühlsausbrüche eine ganz erhebliche zusätzliche Belastung in partnerschaftlichen und anderen sozialen Beziehungen darstellen.
Viele MS-PatientInnen berichten Gefühle von Hilflosigkeit und fühlen sich der Erkrankung ausgeliefert. Umso wichtiger ist es, gemeinsam mit den PatientInnen herauszuarbeiten, welche Faktoren sie selbst beeinflussen können, um ihre Selbstwirksamkeit zu steigern. So lernen unsere PatientInnen unter anderem, durch achtsame Selbstwahrnehmung die eigenen Grenzen kennenzulernen und zu akzeptieren, oder mit Faktoren, welche die Erkrankung ungünstig beeinflussen können, wie z.B. Stress, besser umzugehen.
Durch das regelmäßige Anwenden von Entspannungsübungen wird eine allgemein entspannte körperliche und geistige Grundhaltung erzeugt und die Erholungsfähigkeit gefördert.
Kognitives Training im Gruppensetting: Durch den Vergleich mit anderen wird die eigene Leistungsfähigkeit besser einschätzbar, persönliche Stärken werden bewusst. Darüber hinaus können Ressourcen und Strategien anderer GruppenteilnehmerInnen kennengelernt und gegebenenfalls übernommen werden.